Presse

Mönchengladbach

Nicht nur auf die Probleme schauen

zuletzt aktualisiert: 26.03.2012

Mönchengladbach (RP). Stadtjugendringleiter Sebastian Merkens und Beisitzer Christian Stimming sprechen über Stadtteile, die auf dem Weg zum sozialen Brennpunkt sind, die Gefahr durch Salafisten und die zunehmende Bedeutung der Jugendarbeit als Familienersatz

 

 

 

Sebastian Merkens (links) und Christian Stimming vom Stadtjugendring wollen den Jugendlichen in Mönchengladbach eine Stimme geben. Foto: Isabella raupold

Herr Merkens, Herr Stimming, welche Art Organisation ist der Stadtjugendring eigentlich?

Sebastian Merkens In fast allen Städten existiert eine solche Organisation als Zusammenschluss der Trägerverbände offener und verbandlicher Jugendarbeit. Ziel ist es der Jugendarbeit, und damit der Jugend ein stärkeres Stimmgewicht gegenüber Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit zu verleihen. In Mönchengladbach haben wir zum Beispiel eine Stimme im Jugendhilfeausschuss, wo wir die Interessen unserer Mitgliederverbände und der Kinder und Jugendlichen vertreten. Derzeit gehören neunzehn Verbände zu uns.

Info

Zu den Personen

Sebastian Merkens 19.5.1980 (Mönchengladbach), Ausbildung zum Erzieher, Leiter des Jugendhauses am Martinshof

Christian Stimming 21.7.1990 (Grevenbroich), Ausbildung zum Krankenpfleger, stellvertretender Kreisleiter des Jugendrotkreuzes

Mönchengladbach ist eine tendenziell sozial schwache Stadt. Die Entwicklung hat sich in den vergangenen Jahren noch verschlechtert. Ist dadurch der Bedarf an einer Stimme für die Jugendarbeit gewachsen?

Merkens Er ist enorm gewachsen, denn es geht letzten Endes um die Zukunftsfähigkeit unserer Stadt. Schauen Sie zum Beispiel nach Odenkirchen. Es gibt seit langem Veränderungen in diesem Stadtteil, die man nicht gutheißen kann. Ins Interesse der breiten Öffentlichkeit gelangte die Situation erst, als dort Jugendliche einen aus dem Fernsehen bekannten Polizisten übelst zugerichtet haben. Wir alle kennen die Situationen, in denen wir uns von Jugendszenen bedroht fühlen und wir Abhilfe von unserer Stadt erwarten. Nur ist dies ein Ansatz, der ausschließlich auf Missstände reagiert und nicht in den Blick nimmt was Kinder und Jugendliche brauchen um zu mündigen Bürgern heranzuwachsen. Und genau in diese Lücke treten wir als Stadtjugendring.

Welche Art von Unterstützung brauchen die Kinder und Jugendlichen in dieser Stadt denn besonders?

Merkens Genauso wie die Schulen haben auch wir einen Bildungsauftrag. Es ist unsere Aufgabe, den Kindern und Jugendlichen ein breitgefächertes Spektrum von persönlichkeits- und gemeinschaftsbildenden Programmen anzubieten. Dies ist wichtig für das Hineinwachsen in unsere Gesellschaft. Jugendliche brauchen auf diesem Weg verlässliche Erwachsene, die ihnen Unterstützung anbieten, die ihnen zuhören und sagen: „Das bekommst Du hin. Das schaffst Du.“ Menschen, die sie ernst nehmen und die sie in diese Gesellschaft hineinfordern.

Christian Stimming Kinder und Jugendliche brauchen Vertrauenspersonen.

Was Sie sagen, klingt, als müsste man als Jugendorganisation heute die Aufgaben der Familie übernehmen…

Merkens Wir werden oft von den Kindern und Jugendlichen als solche angenommen.

Ist das nicht eine Überforderung?

Merkens Wir werden mit vielen Ansprüchen konfrontiert, die weit in unser Privatleben reichen. Wir können nicht sagen, wir machen von 8 bis 16 Uhr auf, und dann ist Schluss. Oft kommt es bei den Jugendlichen auch gerade am Wochenende zu Schwierigkeiten, bei denen sie auf unsere Hilfe zurückgreifen wollen. Ihnen fällt es schwer zu unterscheiden, ob jemand sich „professionell“ mit ihnen auseinandersetzt oder ob man ihr „Freund“ ist. Das muss man als Verantwortlicher massiv trennen. Hier liegt oft die Überforderung für viele von uns.

Stimming Es gibt Gruppenleiter, die werden abends und nachts angerufen, wenn ein Jugendlicher Probleme mit seiner Freundin hat. Es ist wichtig, die Distanz zu wahren. Wir sind zwar für die Jugendlichen Ansprechpartner und vielleicht Mentor, aber kein Familienersatz.

Welche konkreten Maßnahmen kann die Politik denn ergreifen?

Merkens Der alleinige Blick auf aktuelle Probleme und Problemzonen ist zu kurz gegriffen. Wir dürfen nicht immer nur reagieren, wenn irgendwo wieder ein Brennpunkt entstanden ist. Es muss eine Vision geben, wohin Jugendarbeit sich entwickeln soll und die muss gestaltet werden. Hier sehe ich Nachholbedarf. Zum Beispiel gibt es in Gladbach seit Jahren keinen Freizeitstättenbedarfsplan mehr. Gerade hier sind unsere Politiker gefordert, die uns sichere und verlässliche Rahmenbedingungen unserer Arbeit geben sollen.

Stimming Und gerade Planung ist nötig, um präventiv wirken zu können.

Was ist denn Ihrer Meinung nach die beste Prävention?

Merkens Aufmerksamkeit und positive Zuwendung sowie ein allgemeiner Zugang zu Bildungsangeboten. Jugendliche müssen das Bewusstsein entwickeln dürfen, dass sie in dieser Gesellschaft willkommen, gebraucht und wichtig sind. Gerade in der außerschulischen Bildung können Jugendliche ganz einfach solche Erfahrungen machen. Jugendliche, die in unseren Gruppen Verantwortung übernehmen sind sich ihrer Wichtigkeit bewusst und haben es nicht nötig sich anderweitig zu beweisen.

Welche Rolle spielt der Sport dabei?

Merkens Eine große Rolle. Es ist eben fatal zu glauben, Bildung fände nur in der Schule statt. Wir alle haben Anteil an der Entwicklung eines jungen Menschen hin zu einem mündigen Bürger. Und auch Sportvereine leisten hieran einen wichtigen Anteil. Allerdings sollte man auch gerade hier immer im Blick behalten, dass Angebote, die nur auf bestimmte Leistungen oder Talente zielen, nicht für alle offen sein können.

Gibt es so etwas wie Brennpunkte in der Stadt?

Merkens Es gibt Stadtteile, die auf dem besten Weg dorthin sind. Wir erleben schon jetzt in einigen alles, was für einen sozialen Brennpunkt typisch ist. Eine hohe finanzielle Armut, gepaart mit einer Perspektivlosigkeit. Das massive Auftreten von Straftaten, wie Drogenhandel, Diebstähle und Körperverletzungen. Ein besonderes Interesse widmen wir gerade Stadtteilen wie Odenkirchen aber auch Rheydt.

Wie ist es um das Angebot von Freizeiteinrichtungen bestellt?

Merkens Das ist eine schwierige Frage, da wir derzeit in Mönchengladbach eigentlich vergleichsweise noch ganz gut aufgestellt sind. In vielen Stadtteilen sind Angebote der unterschiedlichsten Träger und Verbände vertreten. Wir haben eine Musikschule, die wahrscheinlich in ganz Nordrhein-Westfalen ihresgleichen sucht. Natürlich dürfen wir auch nicht verschweigen, dass es in unserer Stadt immer noch weiße Flecken gibt, die nicht mit Angeboten versorgt werden.

Falls die Stadt dem Stärkungspakt Stadtfinanzen beitritt, wird sie noch mehr sparen müssen. Welche Befürchtungen hegen Sie?

Merkens Ich befürchte, dass Politik und Verwaltung Jugendarbeit als ein Feld betrachten, welches man mit dem Rotstift bearbeiten kann.

Herr Merkens, Sie haben sich damals zu den Salafisten zu Wort gemeldet. Wie ist die Lage heute?

Merkens Auch wenn es ruhiger geworden ist, sollten wir uns nicht täuschen. Die Überzeugungen der Salafisten gibt es weiterhin, und es gibt Menschen, die diese verbreiten. Es ist wichtig, dass es Menschen gibt, die in überzeugender Weise diesen Ideen die Wertvorstellungen unserer Gesellschaft entgegensetzen.

Fabian Eickstädt führte das Gespräch.

Interview RP veröffentlicht 26.03.2012